Dramatische Finanzsituation: Kreisstadt kämpft mit Kassendefizit und fehlenden Rücklagen

„Der Staat überfordert seine Kommunen mit der Aufgabenlast“, stellte der Hessische Städtetag in der vergangenen Woche fest. Zu geringe Einnahmen, beispielsweise bei der Gewerbesteuer durch Maßnahmen wie dem Wachstumsbooster der Bundesregierung, verstärken dieses Problem und führen vielerorts zu angespannten Haushaltssituationen. In Hofheim ist dies aber nur die halbe Wahrheit. Denn durch die in den letzten Jahren aufgebrauchten Rücklagen und fehlende Liquidität steht die Kreisstadt dieser massiven Herausforderung im Gegensatz zu anderen Kommunen ohne jeglichen Puffer gegenüber. Von Bund und Land ist aktuell wenig Unterstützung zu erwarten, weshalb Sparmaßnahmen und Erhöhung der Einnahmen der einzige Weg aus der Krise sind.

„Ich bin nun seit fast hundert Tagen im Amt, und ich kann versichern: Ich wollte diese Tage und die nächsten Monate nicht nur mit Konsolidieren verbringen. Aber die Lage ist wie sie ist und zwingt uns zu drastischen Maßnahmen“, stellt Bürgermeister und Kämmerer Wilhelm Schultze klar. „Natürlich verstehe ich den Ansatz der letzten Jahre, die allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklungen nicht direkt an die Bürgerinnen und Bürger, die Eltern oder die Unternehmen weiterreichen zu wollen. Das ist auch das Letzte, was ich als Bürgermeister will.“ Im Zeitablauf befinde man sich jetzt aber in der schmerzlichen Situation, die dem Haushalt fehlenden Einnahmen der letzten Jahre innerhalb kurzer Zeit nachholen zu müssen, um überhaupt handlungsfähig zu bleiben.

„Aktuell haben wir durchgehend Schwierigkeiten offene Rechnungen zu begleichen und können diese häufig nur mit Verzug ausgleichen“, führt Schultze weiter aus. „Es ist ganz klar, dass wir weiterhin Vereine, Feuerwehr, Eltern, Senioren und viele weitere Gruppen in unserer Stadt unterstützen wollen. Dafür müssen aber die Mittel zur Verfügung stehen. Wir befinden uns in einer Zwangslage, die wir uns nicht ausgesucht haben.“

„Deswegen ist es jetzt dringend notwendig, die Reißleine zu ziehen und bereits jetzt kurzfristig eine Haushaltssperre für die gesamte Verwaltung zu verhängen“, sagt Erster Stadtrat Daniel Philipp und unterstreicht den Ernst der Lage. „Leider bedeuten diese Einsparungen auch, dass wir schweren Herzens und gezwungener Maßen auf liebgewonnene Traditionen wie den Neujahrsempfang und die Umbrella Road vorerst verzichten müssen, um nur einige Beispiele zu nennen. Anderes wird nur in abgespeckter Form stattfinden können.“ Die notwendigen Sparmaßnamen werden zudem bei der Einbringung des Haushalts 2026 konkret und werden die anstehenden Haushaltsberatungen maßgeblich prägen.

„Zur Wahrheit gehört auch, dass in Hofheim Anpassungen bei Steuern und Gebühren seit vielen Jahren versäumt wurden. Der Gebührensatz für Schmutzwasser stammt beispielsweise aus dem Jahr 2002. Die Gewerbesteuer wurde zuletzt 2014 angepasst“, sagt Kämmerer Schultze. „Die Grundsteuerhebesätze wurden nur aufgrund der Empfehlungen des Landes Hessen im Hinblick auf eine Aufkommensneutralität hin verändert.“ Angesichts der Corona-Pandemie, in der die Inflation um 23,5 Prozent seit 2018 stieg, und dem folgenden Energiepreisschock habe man in Hofheim die nötigen Anpassungen bei Steuern und Gebühren aufgeschoben. „Das haben andere Kommunen anders gehandhabt und können aktuell noch auf Rücklagen zugreifen“, sagt weiß Schultze. „Deshalb stehen wir jetzt an einem Wendepunkt. Ein Punkt, an dem wir sagen: Dieses Wegschieben, Aussitzen und Hoffen auf bessere Zeiten – das darf es in Hofheim nicht mehr geben. Deshalb müssen wir jetzt, auch wenn es schmerzhaft ist, Entscheidungen treffen, die längst überfällig sind.“

Rückblick: Die Entwicklung der Liquidität steht seit Beginn des Haushaltsjahres in ständigem Fokus. Nachdem das Haushaltsjahr 2025 bereits mit einem Kassendefizit von 2,1 Millionen Euro startete, führten die Einzahlungen aus Steuererträgen, Zuwendungen und sonstigen Gebühren bzw. Abgaben zu keinem Zeitpunkt dazu, dass ein positiver Kassenbestand erreicht werden konnte. Im Gegenteil wurden zahlreiche Verbindlichkeiten erst sehr verspätet ausgeglichen. Der in der Haushaltssatzung des Doppelhaushaltes für 2025 ursprünglich eingeräumte Liquiditätskreditrahmen in Höhe von 15 Millionen Euro musste auf dringenden Hinweis der Revision des Main-Taunus-Kreises bereits im Sommer um 10 Millionen Euro auf 25 Millionen Euro angehoben werden.

„Jetzt haben wir die Situation, dass Ertragsausfälle und Mehraufwendungen dazu führen, dass wir die Stadtverordnetenversammlung bitten werden, die Liquiditätskreditlinie erneut zu erhöhen. Diesmal um 25 Millionen auf dann 50 Millionen Euro, um wie beschrieben überhaupt handlungsfähig zu bleiben“, erklärt Schultze. Hintergrund seien u.a. fehlende Steuererträge und Mittel aus dem Kommunalen Finanzausgleich sowie Mehraufwendungen bei Sach- und Dienstleistungen und Kreis- und Schulumlage. Diese stellen sich konkret wie folgt dar:

  • Fehlende Steuererträge bei der Einkommensteuer: 1 Million Euro
  • Fehlende Steuererträge aus der Grundsteuer: 570.000 Euro
  • Fehlende Steuererträge aus der Gewerbesteuer: 3,5 Millionen Euro
  • Fehlende KFA-Mittel: 6,3 Millionen Euro
  • Mehraufwendungen bei den Sach- und Dienstleistungen: 3 Millionen Euro
  • Mehraufwendungen aus der Kreis- und Schulumlage: 3 Millionen Euro
  • Mehraufwendungen für Liquiditätskredite: 500.000 Euro
  • Mehraufwendungen aus dem Vergleich „Vorderheide“: 1,3 Millionen Euro
  • Vorfinanzierung von Zuweisungen und Zuschüssen: 500.000 Euro

 

Zum Hintergrund der Liquiditätsbedarfe:

Da die Liquiditätsbedarfe einer Kommune nicht linear auftreten, räumt die Haushaltssatzung grundsätzlich einen Maximalbetrag für Liquiditätskredite ein, der den punktuellen Spitzenbedarf an Liquidität im Rahmen der unterjährigen Haushaltsbewirtschaftung abdecken soll. Diese kurzfristigen Kredite dienen der Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit einer Kommune um deren Verbindlichkeiten jederzeit fristgerecht und vollumfänglich ausgleichen zu können.